Folgeverordnung

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W I S S E N & A U S K U N F T

STELLUNGNAHME

WA N N I S T E I N E V E R O R D N U N G E I N E F O L G E V E R O R D N U N G ? von Rechtsanwalt Torsten Münnch, Fachanwalt für Medizinrecht, Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin

WANN I ST E I NE VERORDNUNG E I NE FOLGEVERORDNUNG?

F136 – Version 19-03-2024 | 1/03 ©

Der Begriff Folgeverordnung ist Teil des zur Verordnung von Rehabilitationssport zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen zu verwendenden Muster 56. Dieses Muster enthält eine Ankreuzmöglichkeit für den Text „Folgeverordnung mit Begründung, warum erlernte Übungen nicht oder noch nicht selbstständig durchgeführt werden können“ und eine Leerzeile, um die geforderte Begründung als Freitext eintragen zu können. Für den verordnenden Arzt stellt sich damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen er von einer Folgeverordnung auszugehen und somit das Kreuz an dieser Stelle zu setzen hat. Für den Rehasportanbieter stellt sich die Frage, ob und inwieweit er prüfen muss, ob der verordnende Arzt diesen Teil des Vordrucks korrekt bzw. nicht korrekt ausgefüllt hat. Beide benötigen deshalb ein zutreffendes Verständnis des Begriffs „Folgeverordnung“. Das Muster 56 enthält keine Definition des Begriffs Folgeverordnung. Die angeordnete Begründungspflicht lässt jedoch vermuten, von welchemVerständnis die Gestalter des Musters, also die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV), ausgegangen sind: ihrer Auffassung nach besteht der Charakter einer Folgeverordnung darin, demVersicherten weitere Gelegenheiten zu geben, sich das selbstständige Durchführen von Rehasportübungen anzueignen. Bekräftigt wird diese Vermutung durch eine Passage in den von KBV und GKV-SV gegebenen Erläuterung zumMuster 56. Dort heißt es ähnlich: „Im Freitextfeld ist zu begründen, warumdie/der Versicherte nicht oder noch nicht in der Lage ist, die erlernten Übungen selbständig und eigenverantwortlich durchzuführen und somit eine weitere Verordnung erforderlich ist“ . Dass ein solches Verständnis rechtlich nicht haltbar ist, soll gleich gezeigt werden. Zunächst sei der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen werden, dass bei der Suche nach einer Definition des Begriffs Folgeverordnung auch die BAR-Rahmenvereinbarung nicht weiterhilft, in ihr ist der Begriff nicht einmal enthalten. Gleiches gilt für die sich mit dem Rehasport beschäftigenden Vorschriften des SGB V und des SGB IX (§ 43 SGB V und § 64 SGB IX). Gerichtsentscheidungen zum Begriff Folgeverordnungen sind, soweit ersichtlich, nicht ergangen. Das Fehlen einer gesetzlichen Erwähnung des Begriffs Folgeverordnung führt zu der Frage, ob die KBV und der GKV-SV diesen Terminus überhaupt im Muster 56 vorgeben dürfen. Eine generelle Befugnis zur Gestaltung von Verordnungsvordrucken ist im SGB V durchaus enthalten (§ 87 Abs. 1 Satz 2 sowie § 295 Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 SGB V). Fraglich ist aber, ob sich der konkrete Inhalt des Muster 56 innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens hält. Den gesetzlichen Rahmen für die Verordnung des Rehabilitationssportes gibt § 64 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX vor. Die Norm bezeichnet die Leistung als „Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung“ . Nach demWillen des Gesetzgebers soll also der Rehabilitationssport in einer „Gruppe“ durchgeführt werden. Der Leistungsanspruch des Versicherten endet mithin nicht dann, wenn er die Rehasportübungen selbstständig und eigenverantwortlich durchführen, sondern erst dann, wenn seine medizinische Rehabilitation nicht mehr durch das Gruppenerlebnis gefördert werden kann. Rehabilitationssport ist also mitnichten bloße„Hilfe zur Selbsthilfe“. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits ganz ausdrücklich so entschieden. Danach „wirkt gerade das Gemeinschaftserlebnis, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können, in besonderer Weise rehabilitativ“ (Urteil vom 02.11.2010 zum Aktenzeichen B 1 KR 8/10 R, kostenfrei abrufbar z.B. unter openjur.de). Damit ist aber auch klar, dass der Begriff der Folgeverordnung nicht so zu verstehen sein kann wie im Muster 56: Wenn dort für das Vorliegen einer Folgeverordnung eine Begründung verlangt wird, „warum erlernte Übungen nicht oder noch nicht selbstständig durchgeführt werden können“ , verkennt der Vordruck, dass es auf die Fähigkeit der „Hilfe zur Selbsthilfe“ nicht ankommt. Anders ausgedrückt: Rehabilitationssport kann vom Arzt auch dann verordnet werden, wenn der Versicherte zwar über die Fähigkeit verfügt, Rehasportübungen selbstständig durchzuführen, er aber zur medizinischen Rehabilitation das Gruppenerlebnis benötigt.

WANN I ST E I NE VERORDNUNG E I NE FOLGEVERORDNUNG?

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Die rechtlich misslungene Gestaltung des Muster 56 hat Folgen: da das Muster Teil des Bundesmantelvertrages-Ärzte ist und dessen Regelungen nicht nur für die Vertragspartner, sondern auch für die Ärzte gelten und deshalb als Rechtsnormen zu qualifizieren sind (sogenannter Normsetzungsvertrag), führt eine Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht (hier mit dem gesetzlichen Verständnis vom Rehabilitationssport in Gruppen) zur Nichtigkeit des betroffenen Vordruckteils, hier also der Ankreuzmöglichkeit „Folgeverordnung“ (zur Teilnichtigkeit des Bundesmantelvertrages bei Verstoß gegen höherrangiges Recht siehe Urteil des BSG vom 02.04.2014 zum Aktenzeichen B 6 KA 19/13 R). Daraus folgt, dass weder ein gesetztes Kreuz noch das Fehlen eines Kreuzes rechtliche Relevanz besitzen. Insbesondere kann dem Leistungserbringer die Vergütung nicht mit dem Argument verweigert werden, der Arzt habe bei der Ausfüllung dieses Teils des Muster 56 einen Fehler gemacht und der Rehabilitationssportanbieter habe dies erkennen müssen. Bedeutsam ist das vor allem bei solchen Krankenkassen, die auf eine vorherige Genehmigung der Verordnung verzichten. Im Ausgangspunkt gilt die Irrelevanz auch für Fehler in der ärztlichen Begründung bei gesetztem Kreuz. Denkbar ist aber, dass der Text des Arztes die Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit einer weiteren Teilnahme am Rehabilitationssport im Gruppen infrage stellt. Ein Ausfüllen der Leerzeile mit den Worten „Der Versicherte möchte die während der Teilnahme am Rehasport geschlossenen Freundschaften weiter pflegen“ lassen sich jedenfalls nicht ohne weiteres mit den Grundsätzen der medizinischen Rehabilitation in Einklang bringen. Hat die Krankenkasse eine derartige Verordnung gleichwohl genehmigt, stellt sich die Frage, ob der Rehabilitationssportanbieter die Leistung erbringen darf. Gerichtlich entschieden wurden bislang lediglich diejenigen Fälle, in denen eine fehlerhafte ärztliche Verordnung ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse umgesetzt wurde (und im Nachgang die Krankenkasse die Vergütung für die erbrachte Verordnungsleistung verweigerte). Das BSG verlangt in ständiger Rechtsprechung vom Leistungserbringer, die Verordnung „auf aus seiner professionellen Sicht zumutbar erkennbare Fehler, also auf Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen“ (BSG, Urteil vom 13.09.2011 zum Aktenzeichen B 1 KR 23/10 R). Ein erkennbarer Fehler liegt zum Beispiel vor, wenn Angaben auf dem Muster 56 nicht zueinander passen (zum Beispiel wenn der angegebene ICD-10-Diagnoseschlüssel nicht zu der eingetragenen „Schädigung der Körperfunktionen und Körperstrukturen“ passt). Die Prüfung ist also auf jeden Fall durchzuführen bei Verordnungen für Versicherte solcher Krankenkassen, die auf eine vorherige Genehmigung verzichtet haben. Ob die Prüfungspflicht auch besteht, wenn die Verordnung von der Krankenkasse bereits genehmigt wurde, ist - soweit ersichtlich - gerichtlich noch nicht entschieden. Klar ist aber, dass nicht jede Genehmigung der Krankenkasse rechtlich gilt. Das BSG hat darauf hingewiesen, dass ein Leistungserbringer einer (grundsätzlich möglichen) telefonischen Genehmigung nicht vertrauen darf, wenn mit der Entscheidung über die Genehmigung schwierige Fragestellungen verbunden sind und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Mitarbeiter die Sach- und Rechtslage fundiert geprüft hat (BSG, Urteil vom 20.03.2013 zum Aktenzeichen B 6 KA 27/12 R). Schwierige Fragestellungen mögen mit der Verordnung von Rehabilitationssport nicht verbunden sein und die Genehmigung auf dem Muster 56 ist keine telefonische. Mangels einschlägiger Rechtsprechung muss aber an dieser Stelle aus Vorsichtsgründen dazu geraten werden, auch die von der Krankenkasse genehmigte Rehasportverordnung aus professioneller Sicht auf Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen und bei Fehlern Rücksprache mit dem Arzt bzw. dem Kostenträger zu halten.

RehaSport Deutschland e.V. März 2024

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